Montag, 12. Juli 2010

Nach T. Nagar kommen Millionen zum Sari Kauf



Madras.Wie von einem riesigen Magneten angezogen, eilen Millionen von Indern den großen Sari-Kaufhäuser rund um den Panagal Park im Stadtteil T.(Thyagaraya) Nagar zu. Obwohl schon einige Hundert Saris im Schrank liegen, ist das kein Hindernis für Jayshree, sich noch eines dieser farbenprächtigen Kleidungsstücke zuzulegen.

Die Zeit der großen Feste, die mit Divali im Dezember startet, hat noch lange nicht begonnen. Bis zum indischen Lichterfest, an dem sich alle Welt neu einkleidet, ist noch lange hin. Doch eine Lieblingsbeschäftigung Jayshrees ist zu allen Zeiten - Shoppen gehen. Und das nicht nur mit ihrer besten Freundin, sondern gleich mit der ganzen Verwandtschaft - mit Cousinen, Tanten, Schwägerinnen und wer sonst noch alles dazugehört. Ihr Mann darf auch mitkommen und ist als Aufpasser für die kleinen Kinder willkommen.

Aus den Kaufhäusern mit riesigen Ausgängen, die an die von Großkinos erinnern, strömen die Menschen, wie nach Beendigung einer Filmvorstellung. Und genau so viele wie herauskommen, laufen auch wieder hinein. Gibt es da etwas umsonst? Wir wagen einen Blick in einen der Sari-Shops, hinter dessen Kulissen es ein wenig ruhiger zuzugehen scheint. Die angenehme Kühle der Klimaanlage lockt uns an. Jayshree hat sich schon längst entschieden hineinzugehen und winkt uns, sie und ihre Familie zu begleiten.

Vor uns breitet sich ein im schönsten neo-kolonialistischen Stil dekorierter Saal aus, mit Maisonette-Balkonen, die Geländer aus dunklem Holz kunstvoll geschnitzt. Westliche Sicherheitsstandards ignorierend, führen die aufwändigen offenen Treppen über fünf bis sechs Stockwerke und geben dem Kunden das Gefühl, dass er sich in einem Palast befindet. Ein Palast, in dessen Holzregale Hunderttausende kostbarer Saris liegen, dessen ganze Pracht sich dann entfaltet, wenn der Händler die gewünschten Teile auf den Ladentischen ausbreitet. Vor den Verkaufstheken drängeln sich Frauen jeden Alters und versuchen, einen Blick auf die Objekte ihrer Begierde zu werfen. Denn, so wird immer wieder und nicht nur in der Werbung beteuert, der Traum jeder indischen Frau ist ein Seidensari.

Die Frauen, von denen viele mit Bussen, Zügen oder mit dem Auto aus dem Umland gekommen sind, verstehen das Kaufen eines Saris als demokratische Familienentscheidung, bei dem jeder mitreden kann. Insbesondere wenn eine der Töchter verheiratet werden soll, müssen mindestens drei neue Garnituren her, da man sich zu den verschiedenen Teilen der Zeremonie jeweils umzuziehen hat. Die Verwandtschaft wird gleich mit eingekleidet und so machen die Händler ihr ganz großes Geschäft mit dem bekanntesten aller Indischen Kleidungsstücke. Am Wochenende sind bis zu 500 000 Menschen in der Thyagaraya Road in T. Nagar unterwegs. Während der Festsaison, die mit Divali im Dezember beginnt und im Januar mit Pongal, dem indischen Erntedankfest endet, sollen sich bis zu zwei Millionen Menschen auf dem ein Kilometer langen Straßenstück tummeln - was ich nicht ganz glauben kann, obwohl es zehn große Sari-Shops und ungezählte kleine gibt.

Jayshree und ihre Familie diskutieren derweil, welche der vor ihnen ausgebreiteten Stücke die schönste Farbe und das netteste Muster hat. Die Stoffbahnen die fünf oder sechs Meter lang sind - bis neun Meter sollen sie manchmal messen - betonen die richtigen Körperstellen und machen auch sehr fülligen Frauen eine gute Figur. Angeblich brauch Jayshree nur eine Minute, um sich morgens einzukleiden. Jahrelange Übung, sagt sie. Mit 20 - vor Ihrer Hochzeit - bekam sie ihren ersten eignen Sari. Vorher hat sie aber schon die Saris ihrer Mutter getragen. So hält es auch ihre Tochter, wenn es mal was zu feiern gibt.


Im Alltag tragen die jungen Frauen in Süd Indien meist "Salwar Kameez", eine lange Bluse mit einer Art Leggins oder auch mit Jeans kombiniert. Die weiten Pluderhosen gibt es zwar hi und da noch, aber die an den Beinen schmäleren Hosen haben sich durchgesetzt. Oben sind diese freilich in der Weite verstellbar. Praktisch, wenn man mal schwanger wird.


Jayshree und ihre Cousinen haben sich noch längst nicht entschieden. Wir melden uns deshalb ab und stürzen uns wieder in die Fußgängermassen, die um die Mittagszeit noch zugenommen haben. Ganze Straßen sind für den Autoverkehr gesperrt, obwohl sich immer wieder Autorickshaws und Geländewagen ihren Weg durch die Menge suchen.

Schmuck- und Kleiderläden wechseln einander ab und auf der Straße bieten Händler allerlei billigere Ware an, vom Kinderspielzeug über Schals und Handtaschen. Eher nichts, was westlichem Geschmack entspricht, so wie es etwa in der Türkei oder Thailand als Kopie von Designerware angepriesen wird.

Wir sind die einzigen Europäer weit und breit und die Suche nach einem Kiosk, wo wir eine Flasche Wasser trinken können, ist schwierig. Die Restaurants sind bis auf den letzten Sitz belegt und so entschließen wir uns, so schnell wie möglich nach Hause zu fahren, raus aus dem ohrenbetäubenden Verkehrslärm.

Text: Senya Müller
Fotos: Senya Müller (7), Indian-Dresses (4), Wikipedia (1)